Moin ...sorry, dass ich diese Fallbeispiel-Leiche nochmals ausgrabe. Ich habe aber gerade mal hier quergelesen ...
Leute...habt ihr schon einmal was von Basisdiagnostik gehört?
Hier wird über die Luftrettung, ein mögliches Polytrauma, "High-Flow"-Sauerstoffgabe, Beckengurt und Txa diskutiert ... Wir haben noch nicht einmal Vitalwerte!
Das Fallbeispiel wurde aber durch den Ersteller nicht mehr moderiert. Es ist daher eher als eine allgemeine Diskussion im angefangenen Setting "Fahrradsturz" weitergeführt worden. Es wurden die Vitalwerte abgefragt, aber nicht beantwortet.
Ich habe zwischendurch mal etwas über eine 97%-Sättigung und eine regelrechte Recap-Zeit gelesen. Und? Wo ist der Blutdruck? Wo ist die Herzfrequenz? Wo ist die Atemfrequenz?
Wir schlören hier 1000 Koffer zu diesem Patienten und kennen noch nicht einmal seine Herzfrequenz, für die ich keinen C3 sondern 1-2 Finger benötige!
Nochmal zur Rekapitulation:
Das 1. Symptom eines Volumenmangelschocks ist (mal abgesehen vom Patienten, der Betablocker einnimmt) eine zunehmende Tachykardie.
Das 1. Symptom einer respiratorischen Insuffizienz ist die Tachypnoe.
Wenn wir hier (was wir nicht wissen) einen normotensiven Patienten ohne signifikante Tachykardie vor uns haben, dann kriegen wir den problemlos über die nächsten 15 Minuten bis ins Krankenhaus.
Und wenn er blutet, aber noch kompensiert? Blutdruck, Herzfrequenz und AF können doch anfangs noch relativ normal sein. Der Unfallmechanismus und die Beschwerden im Abdomen sprechen einfach viel zu sehr für Schlimmes, als dass ich mich gut fühlen würde, erstmal noch entspannt den RR zu messen und ein EKG zu schreiben.
Kritisch sehe ich hier
Die Nachalarmierung des Notarztes:
- Anfahrtszeit 12 min, entspricht also wenn wir die Ausrückezeit hinzuzählen nahezu der Zeit, die wir in die Klinik benötigen
- Was macht ein Notarzt mit einer Milzblutung? Er brüllt den Fahrer an: "Fahr los!"
TXA
- Schmerztherapie: hier muss man abwägen. Wenn das Geschaukel während der Fahrt nicht toleriert wird, wäre das ein Argument. Jedoch verdoppeln wir damit die Eintreffzeit bis in die Klinik. Und wenn man sich hier auf den Status "potentiell kritisch" geeinigt hat, muss man das halt abwägen ...
Aber bis zum fertigen Verbringen in den RTW gehen einige Minuten drauf, die das NEF schon fährt. Wenn es aus der entgegengesetzten Richtung zur Klinik kommt - natürlich schlecht. Bei 12 Minuten Eintreffzeit und den o.g. Minuten zur Transportbereitschaft dann nicht mehr so dramatisch. Wie gesagt, Einzelfall. Hier könnte man vermutlich drauf verzichten.
Den Beckengurt:
KISS-Schema: Kinematik, Inspektion, Schmerzen im Becken.
Kinematik: Unfallmechanismen, die eine instabile und lebensbedrohlich blutende Beckenfraktur auslösen können sind klassischerweise Hochrasanztraumen (Sturz aus großer Höhe, VU mit höherer Geschwindigkeit und v.a. seitlichem Aufprall, etc.). Ich denke, dass man sich auch im Rahmen eines Fahrradsturzes als älterer Mensch eine Beckenringverletzung zuziehen kann. Jedoch habe ich persönlich in 16 Jahren noch keine kapital instabile Beckenfraktur (z.B. "Open book") im Sinne des KISS-Schemas bei einem Fahrradalleinunfall (heißt, wenn der Patient nicht von einem PKW etc. erfasst wurde) gesehen.
Inspektion: Tja... ? Fehlt wohl noch ...
Palpation bzw. manuelle Prüfung der Stabilität wird gem. herrschender Lehrmeinung nicht mehr durchgeführt.
Schmerzen im Becken: Ich habe verstanden, dass die starken Schmerzen im Abdomen und über der LWS beklagt werden. Hier würde ich mir eine differenzierte Untersuchung wünschen. Ich denke schon, dass man durch Palpation einigermaßen auseinanderhalten kann, ob die Schmerzen über der LWS oder dem knöchernen Becken bestehen.
Ich halte hier eher eine relevante Wirbelsäulenverletzung für möglich. Und auch mit den entsprechenden Techniken geht die Anlage des Beckengurtes immer mit ein bisschen Bewegung einher, so dass man dies auch nur tun sollte, wenn man einen klar definierten Grund dafür angeben kann.
Ein Einziges (!) erfülltes Kriterium des KISS-Schemas indiziert die Anlage einer Beckenschlinge!!
Die "High-Flow" Sauerstofftherapie
Zunächst einmal beschreibt dieser Begriff eine nicht-invasiven Form der Beatmung, wie sie auf Intensivstationen bei respiratorischer Insuffizienz praktiziert wird. Hier werden Sauerstoffmengen von deutlich über 15l/min, manchmal bis zu 60l/min verabreicht. Aktuelle Beispiel für eine Indikation wäre eine Covid19-Pneumonie.
Im Rettungsdienst ist das natürlich nicht praktikabel, hier wird "High Flow" als Synonym für "ich dreh mal den Regler voll auf" gesehen, was aber begrifflich nicht ganz korrekt ist.
Beim Traumapatienten werden hochdosierte Sauerstoffgaben (15l/min) für Patienten mit SHT, Thoraxtrauma und Polytrauma empfohlen.
Für ein SHT oder ein relevantes Thoraxtrauma sehe ich hier keinen Hinweis. Allenfalls ein Bauchtrauma wäre ein nachvollziehbarer Grund.
Jedoch verweise ich darauf, dass Sauerstoff ein Medikament ist, für das es Indikationen, aber auch Kontraindikationen und auch Komplikationen gibt. Denken wir nur einmal an den COPD-Patienten. Genauso wie den Beckengurt würde ich Sauerstoff nur wohlüberlegt einsetzen. Und über die noch nicht vorhandenen Vitalparameter haben wir ja schon gesprochen ...,
Sauerstoff ist definitiv auch mit Nebenwirkungen behaftet. COPD beim Herrn durchaus auch möglich. Die Blutung im Bauch aber, wie über 2 Seiten Thread besprochen, genauso. Und da geht ziemlich sicher Trauma vor Nebenwirkungen.